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Das Territorium der Ungewissheit

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Böschung  am Bahnsteig Berlin Treptow

Und wo die Wissenschaft nicht hinreicht, muss man träumen. Für Gilles Clément ist der Garten das Reich der Träume, das Territorium der Ungewissheit und der Veränderungen. In seinem  „Garten in Bewegung“ ist der Gärtner mehr denn alles andere ein Zuschauer. Es genügt, sich zu bücken und das  „Observatorium der Zeit“ offenbart seine Wunder und Schönheit. Dabei ist die Kategorie einer ökonomischen Zeit, die verloren oder gewonnen werden kann, im Garten nichtig. Der ideale  Gärtner ist für den französischen Philosophen und Landschaftsarchitekten ein Amateur, das kommt vom Lateinischen Wort amare und bedeutet, er ist ein Liebhaber. Im besten Falle hat er immer eine Lupe in der Tasche um die Erscheinungsformen der Pflanzen zu betrachten. Er studiert, wie der unreglementierte Garten wächst, sie die Natur wuchert, er entschlüsselt die Bedingungen und die Vergangenheit des Bodens, des Standorts, des Klimas, er greift stets nur behutsam ein, um die vorhandenen Energieströme sanft zu leiten und Grenzen zu definieren. Denn der Garten ist auch das eingefriedetes Paradies, schon sein deutscher Begriff enthält das Wort „Gerte“, aus der dem man einst die Zäune flocht. Der Hortus conclusus, die Schutzzone, ist für Clément auch ein Reich der Tiere. Obgleich sie wie die Vögel keine Zäune und Grenzen kennen, gehören sie wie die Nattern der Alhambra und die Maulwürfe von Babylon  in den Garten der immer währenden Transgression dazu, bei Clément selbst haben die Nutria, die im Dachstuhl lärmende Steinmarderfrau und der die Beete leerknabbernde Rehbock Eigennamen. Doch wie macht man sie wieder zutraulich, die man so lange verjagt hat? In seiner Antrittsvorlesung für eine Gastprofessur am College de France sagte Gilles Clément, der sich selbst dabei als Student der Natur bezeichnete, die Landschaft sei das Bild, das wir erinnern, etwas Subjektives, im Gegensatz zur Umwelt, die objektive messbar sei. Im Sinne seiner schon da formulierten These, dass die Welt, unsere Erde, als ein einziger planetarischer Garten zu betrachten sei, ist  Cléments kleines Traktat über „Die Weisheit des Gärtners“ nun eine Einladung an die Müßiggänger, die Nutzlosen, die Geschwindigkeitsgeschädigten, an die Trödler und die Tagträumer. Eine Einladung in eine Zukunft, in der jedes Samenkorn ein Versprechen ist und alle Ökonomisierung des Lebendigen ein Verbrechen.

Gilles Clément: Die Weisheit des Gärtners. Aus dem Französischen von Britta Reimers. Matthes & Seitz, Berlin 2017. 106 S., 16 Euro.