Von unten

 

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„Wir wussten, wie Scheitern sich anfühlt.“

Das Kind groß, der Mann krank, die Karriere als Schriftstellerin, naja, stagnierend. Das Manuskript ihres vierten Buchs (nach „Halbschwimmer“, „Staubfängerin“ und „Hellersdorfer Perle“ ) schimmelt nach 20 Ablehnungen bei der Charlottenburger Agentin herum, die journalistischen Aufträge bescheiden, Anflüge von Bitterkeit vervollständigen die Unsichtbarkeit der Frau in „den mittleren Jahren“, das Leben ist fad. Geht das jetzt so weiter bis zum Ende? Kurzentschlossen macht die Autorin Katja Oskamp eine Ausbildung zur Fußpflegerin. Die Teilnehmerinnen in Gittas achtwöchigem Kurs sind wie sie, „mittelalte Mütter, namenlose Vertreterinnen eines namenlosen Mittelfeldes, degradiert zu Fußnoten des eigenen Lebens. Jede zuvor von irgendwo abgeprallt, steckengeblieben, nicht weitergekommen. Wir wussten, wie Scheitern sich anfühlt. Wir waren demütig, bescheiden und kleinlaut geworden, bereit unsere Vorgeschichte zu vergessen, unsere Leistungen auszuradieren. Wir waren ganz unten, bei den Füßen angelangt.“ Aus dieser Perspektive, der eigenen Niedrigkeit und aufoktroyierten Minderwertigkeit bewusst, im weißen Arbeitskittel auf einem Schemel kauernd, erzählt Oskamp die Geschichten ihrer Kunden im Fußpflegesalon von Marzahn. Sie hört ihnen zu, während sie ihre runzligen  Füße in warmem Wasser einweicht, verwachsene Nägel aus verrottendem Fleisch fräst („Hufe auskratzen“), Hornhautschwielen abhobelt, verkrümmte Zehen massiert und jahrzehntelang unberührte, papierne Haut eincremt. Fast alle Kunden sind alt, gebrechlich, bedürftig. Übrig geblieben, verloren, verhärmt, versteinert, verbogen. Berlinernde Ostler mit gebrochenen Biografien, schlurfende Rentner an Rollatoren, Vertriebene mit Frostbeulen, Sturköpfe unter Schiebermützen, Alles-Überleberinnen mit Hündchen, liebenswürdige Greisinnen, rüstige Damen mit dünnem Einkaufsbeutel und einem Sack an herben Erfahrungen. Das Leben lastet auf ihnen wie die 18 Stockwerke, die sich der Hochhausriegel in der ältesten Plattenbausiedlung Berlins über dem Kosmetikstudio erhebt. Und ist manchmal aberwitzig und blau, wie der Himmel, in den Katja Oskamp mit Chefin Tiffy oder Kollegin Flocke ihre Zigarettenrauchkringel pustet. Stulle, Kaffee und Kippe. Jeder Kunde, so Oskamps Plan, soll nach ihrer Fußpflege etwas glücklicher sein. Frau Guse kommt alle sechs Wochen ins Studio, sie trägt gerne freundliche Farben, sie hatte Krebs, die Tabletten verursachen Durchfall, aus Angst sich in die Hosen zu machen, traut sie sich manchmal gar nicht aus dem Haus. Ja, blöd, sagt Oskamp und lässt den pinkfarbenen Thron sachte nach oben surren. Die Kundin wird endgültig Königin und lächelt selig. Oskamp kennt die Dialoge auswendig, sie gibt die erwarteten Stichworte und seufzt die nötigen Zustimmungen. Kommunikation, das weiß die Profi-Dramaturgin in der Fußpflegerin, dient nur im seltensten Fall dem Informationsaustausch. Sag ick doch. Um so toller ist, wie sie aus kleinsten biografischen Buchstücken, fein beobachten Bewegungsdetails und Gewohnheiten, aus hinkenden Satzschablonen und prolligen Redewendungen, ihre pointierten Kurzportraits zaubert. Sie lacht über die immer gleichen Sprüche, sie hört sich die Geschichten von Grünem Star und Gemeinheiten an, von Schichtarbeit, entfernten Kindern, sterbenden Männern und Haustieren. Herr Paulke mit seinen arthritisch verwitterten Füßen, der sich nicht so wichtig nimmt, erzählt von den gemeinsamen Urlaubsreisen an die Fjorde – „Dit war jut, wie wa dit noch abjegriffen haben“. Die zu jugendlich wirkende Frau Blumeier mit ihrem schnitten Elektrorollstuhl gesteht, dass sie sich gerade in Lutze verknallt hat. Die immer hektische Frau Huth kann ihren dementen Mann nicht lange allein zuhause lassen. Die religiöse Frau Bonkat aus Schlesien, Oskamp verneigt sich vor ihren Lebensleistungen, weil es sonst keiner tut. Es ist herzergreifend traurig, wenn der uralte Herr schon gar nicht mehr damit rechnet, dass man auf ihn reagiert, und es ist fies-lustig, wenn der mit seinen Affären prahlende ehemalige Funktionär ihr Sex anbietet und jedes Mal ein Piccolöchen zusteckt. Selbst dieser eingebildete Sack ist in Oskamps Augen und Worten einfach nur ein alter Tölpel, der nichts mehr rafft. Dieser rückhaltlos emphatische Blick auf die Welt ist zutiefst bewundernswürdig. Das ist die menschliche Komödie in biografischen Miniaturen, das Große, garantiert unsentimental, eben von unten. Die Kunden im Fußpflegesalon sind so anschaulich lebendig und real, ihre Lebensläufe so voller unverschuldetem Unglück, dagegen ist die Schreib- und Midlifecrisis der Autorin nichts und hiermit aufs unterhaltsamste überwunden. Die heitere Herzensgüte, zumal in  schnoddrig komischem Tonfall daherkommend, ist mitreissend, ja ansteckend: Ihre Geschichten haben das Zeug, aus mir einen besseren Menschen zu machen. Zumindest möchte ich gleich die M6 nach Marzahn nehmen und dort all die komischen Protagonisten diese wundersamen Pandämoniums beschädigter alter Menschen treffen.

Katja Oskamp: Marzahn mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin. Hanser, Berlin 2019, 143 S., 16 Euro.

 

13 Gedanken zu „Von unten

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